Aus Mediasch erreicht uns die Nachricht, dass das Projekt zur Renovierung des Trompeterturms gestartet wurde, für das auch zahlreiche Mediascher nach einem gemeinsamen Aufruf der Evangelischen Kirchengemeinde und der HG Mediasch gespendet haben. Dies ist ein guter Anlass, an die Geschichte und die wechselhaften Geschicke des Turmes zu erinnern.
Über den Ursprung seines Namens gibt ein Beitrag von Johann Auner aus dem Jahre 1925 in der Mediascher Zeitung Aufschluss (siehe hierzu auch den Beitrag S. xy in diesem Heft): „Tramitenturm: Der Tramitenturm ist das Wahrzeichen unserer Stadt. Wenn der Mediascher in der Fremde weilt und sich nach Hause sehnt, denkt er zunächst und in erster Reihe an seinen Tramitenturm, der ihm es angetan hat. ‚Tramit‘ heißt soviel wie Trompete, die ursprünglich nichts anderes war als eine gerade, vorn etwas erweiterte Röhre. Einer umgekehrten Tramit (Trompete) sieht das Dach des Trompetenturmes ähnlich. Später machte man aus der Tramit einen Tramiter und aus der Trompete einen Trompeter; so entstanden die Namen Tramiter-Turm, Trompeter-Turm, was doch grundfalsch ist und Tramiten-Turm, Trompeten-Turm lauten müsste. Vor etwa 100 Jahren schlug der Blitz in den Turm ein. Jetzt wurde das Dach ausgebessert, ein Blitzableiter angelegt und ein neuer Turmknopf aufgesetzt. Die Abbildung des letzteren findet sich an der Nordseite der Kirchenmauer, links vom Eingange, nach dem Pfarrhause zu. Die Zimmerleute trugen den Knopf von Haus zu Haus, ein Trinkgeld zu ergattern und die Leute setzten ihre Kinder darauf, damit sie später sagen könnten, sie seien auch einmal auf dem Turmknopf gesessen. So ist’s mir erzählt worden. Und als der Knopf aufgesetzt und der Blitzableiter befestigt war, setzte sich der Zimmermann auf den Turmknopf, zog, um seine Schwindelfreiheit zu erweisen, seine Schuhe aus und an und trank eine Flasche Wein. Die Flasche und das Glas warf er in die Badergasse und beide kamen – unglaublich aber wahr – unversehrt an. Sie müssen weich gefallen sein! Freilich war das noch zu der Zeit als im alten Weiher, dort wo jetzt der Bahndamm läuft, wilde Enten geschossen wurden und als die mit Wein beladenen Wagen in der St. L. Rothgasse im Moraste stecken blieben; daher der Name Kotgasse.“
Wie alt der Turm ist, lässt sich nicht mehr ermitteln. 1508 wird er erstmalig urkundlich erwähnt. Seine ursprüngliche Höhe entsprach etwa den unteren fünf Geschossen des heutigen Turmes; er diente als Glockenturm. Die Spuren des Glockenstuhls konnten während der Renovierungsarbeiten in den 1920er Jahren identifiziert werden. Karl Römer, der damals leitende Bauingenieur, führt die späteren Schäden im Mauerwerk auf eine unzureichende Statik für die Nutzung als Glockenturm zurück. Im Jahre 1550 wurden drei weitere Stockwerke auf den Turm aufgesetzt und die vier Ecktürmchen gebaut. Als das Dach ein Jahr später mit glasierten Ziegeln eingedeckt war, wurde offensichtlich, dass die Mediascher mit nichts geringerem als St. Stephan in Wien wetteifern wollten.
Seit gut 450 Jahren wacht er nun in seiner heutigen Höhe über unserer Heimatstadt, ist längst zu ihrem Wahrzeichen geworden. Mag man den Mediaschern auch heimlich ungebührlichen Hochmut nachgesagt haben, so hatte er sicher auch einen praktischen Nutzen. Im Dachstübchen wohnte ein Turmwächter, der von den Luken der vier Ecktürme weit in die Runde sehen und vor nahenden Feinden warnen konnte. Aber auch Brände konnten so schneller erkannt werden. Neigte der Turm sich schon bald nach der Aufstockung des niedrigeren Vorgängers gefährlich auf dem unebenen Untergrund, so trotzte er doch allen Stürmen, allem Unbill, das die Naturgewalten über ihn brachten. Schon bald nach 1550 musste er gestützt werden, zwei gewaltige „Schwibbögen“, unter denen ein Gespann durchpasste, stützen ihn nach Norden. Wind und Wetter rüttelten an ihm, Blitze umtobten sein bunt gedecktes Dach, manches Erdbeben erschütterte seine Grundfesten. Die Kuruzen beschossen ihn von der Vogelstange aus, doch hielt er stand. Immer wieder aber mussten die Bürger der Stadt Hand anlegen und Reparaturarbeiten am Turm durchführen. Bei solchen Gelegenheiten wurden in zwei der Turmknäufe Dokumente eingelegt, die Zeugnis ablegten von der Verbundenheit der Städter mit ihrem Turm. Im südwestlichen Türmchen und im großen Turmknauf befinden sich mehrere Rollen mit Dokumenten, die die Geschichte der „Wiederherstellungen“ am Turm erzählen. Insgesamt 6 oder 7 Mal, wurden die Turmknäufe herunter geholt, wurden die Dokumente gelesen, teilweise abgeschrieben, wenn die Witterung ihnen zu sehr zugesetzt hatte, ergänzt und wieder in die Knäufe zurück gelegt. Die Mediascher Zeitung berichtete im September 1927 ausführlich über den Inhalt der Dokumente.
Heute, wo sich die Kirchengemeinde Mediasch erneut anschickt, den Tramiterturm zu renovieren, wollen den Turmwächter des Jahres 1783 zu Worte kommen lassen. Damals verfasste Stephanus Schnell, ein Dokument, das er als „Bürger und Thurnwächter“ unterschrieb. Es befindet sich in einer gedrechselten Holzschatulle im südwestlichen Türmchen und lautet unter dem Titel: „Pro Memoria Stephani Schnell suo tempore vigilis ut intus 1783“: „Glück, Heil und Segen, in Frieden, allen geneigten Lesern, von unserm Herrn und Heiland Jesu Christo. Wir Menschen leben auch nach unserem Tode, wenn wir Gutes gestiftet, befördert und vollendet haben. Urkundt dessen habe, ich Unterschriebener, dies verfertigt; um mir sowohl als meinen Kindern, und wenn Gott will auch meinen Kindes-Enckeln, oder gar Enckeln Über-Enckeln, unsrer bey der späteen Nach Welt, ein Denkmal zu stiften. Ich lege es dieserwegen, in den Knopf dieses Thürmchens; weilen ich in demselben, bis heute dato bereits 42 Jahre zugebracht, der Stadt mit Wachen und Gott mit Beten gedient; allwo ich oft unter gewaltsamen Sturmwinden, schrecklichem Blitz u[nd] Donner, in Lebens-Gefahr gewohnt; die Bürger, Nachts-Wächter und Soldaten durch treue Pauken-Lerm-Schläge, in der dunkelen Mitternacht, theils geweckt, theils angespornet, in glimmendem Camin und Rauchfang die Brunst, oder in brennendem den Ausbruch der grausamen Feures-Flamme, auf die Dächer und Häuser zu Dämpfen und zu löschen: biß ich endlich auch ein hiesiges Publikum, besonders einen Hochlöblichen Magistrat unserer Königlichen Freyen Stadt und Stuhles Mediasch, für [=vor] großem Unheil warnete, indem ich die Schwäche des alten Thurn-Daches entdeckte und dem so drohenden Uebel vorzubeugen fußfällig bath. Darauf wurden die besten und kostbare Anstalten gemacht so, daß, anno currente, ein ganz neues Dach zustande gebracht wurde, welches ich auch, aus allen nur möglichen Kräften, vollenden half. Im Name des Herren, aus der höchsten Höhe, wurde immerhin gepriesen, und es sey auch dies all mein Thun geschehen: 1. Gott zu Ehren, 2. Der Nachwelt zum Gedenken, 3. Meiner Familie und Nachkommen zu etwanigen meritten. Signatum zu Medwisch im August 1783. Stephanus Schnell Bürger und Thurnwächter et Stephanus Schnell filiius huis patri in Transilvania“.
An dieser Stelle sollen noch ein paar Worte über den wackeren Turmwächter Stephan Schnell gesagt. Viel ist nicht bekannt, dennoch entnehmen wir den Mediascher Kirchenmatrikeln, dass die Familie Schnell aus Birthälm stammte. Stephanus Schnell wurde als ältester Sohn des Stephanus Schnell und der Catharina Depner vermutlich nach 1717, dem Hochzeitsjahr seiner Eltern geboren wurde. Schon der Vater, der 1759 verstarb, wird in der Matrikel als Turmwächter („vigilator“) bezeichnet; 1716, bei seiner Eheschließung, war er „Alutharius“ = Weißgerber und ab 1730 Turmwächter. 1741 folgte ihm der Sohn in dieser wichtigen Funktion, der in seiner Rede 1783 angeben wird, seit nunmehr 42 Jahren dieses Amt zu versehen. „Unser“ Stephanus Schnell heiratet 1749 Margaretha Lieb, mit der er 5 Kinder hat. Laut Matrikel war das dritte Kind ein Sohn, der 1755 ebenfalls auf den Namen Stephanus getauft wurde und ebenfalls nach der Matrikel bereits 1779 verstarb. Auf der Urkunde im Turmknauf unterschreibt mit ungelenker Schrift noch ein Sohn Stephanus neben dem Vater. In der Matrikel wird als fünftes und letztes Kind der Schnells eine Tochter Maria, geboren 1762 aufgeführt. Möglich ist, dass sie noch mindestens ein weiteres Kind hatten, also auch einen weiteren Sohn, den sie wiederum Stephanus tauften. Dieser wäre dann im Jahre 1783 19 Jahre alt gewesen, oder jünger. „Unser“ Turmwächter lebte noch bis 1791.
Es ist bekannt, dass in den Folgejahren immer wieder Reparaturen nötig waren. Aber Mitte der 1920er Jahre erkannte der Bauingenieur Karl Römer, auch er ein „veritabler Turmwächter“ der Neuzeit, dass der Turm massiv geschädigt und einsturzgefährdet war. Es bedurfte einer gewaltigen Anstrengung der von den Folgen des Krieges schwer gebeutelten Bürgerschaft, die Mittel für die nötige Sanierung aufzubringen, aber sie schafften es und gaben den unteren drei Turmgeschossen ein Korsett aus Beton. Wie zeitgerecht diese Arbeiten gemacht wurden, erwies sich, als 1940 ein schweres Erdbeben auch Mediasch erschütterte. Wer weiß, ob das spröde Mauerwerk ohne die durchgeführten Arbeiten den Erdstoß überlebt hätte. Es dauerte noch einmal gut vier Jahrzehnte, da zeigten sich neue Schäden und man musste weitere zwei Stockwerke mit einem Mantel aus Stahlbeton sichern – auch dieses rechtzeitig vor dem schweren Erdbeben 1977.
Nun ist es wieder so weit, dass die Mediascher an ihren Turm Hand anlegen. Wir wünschen dem Werk gutes Gelingen und werden zu gegebener Zeit über seinen Fortschritt und das Ergebnis berichten.